Lesenswerte Artikel aus verschiedenen Hundebereichen

Diese Artikel müssen nicht unbedingt 1:1 meine Meinung wiederspiegeln, ich finde sie aber interessant und sie sollen zum nachdenken anregen!

Das 10-Leckerchen-Spiel:

Für Hunde die Warten und Klappe-Halten-Lernen sollen!!!!

von Angelika Bodein; www.clicker-doggies.de


Mit dem 10-Leckerchen-Spiel lernt der Hund, längere Zeit ruhig abzuwarten, auch wenn er sehr aufgeregt ist und es ihm ganz wichtig ist, ans Ziel seiner Begierde zu kommen.

Wie funktioniert’s?
Du brauchst eine Schüssel oder einen Beutel mit Leckerchen und einen Clicker.

Du setzt oder stellst dich hin und zeigst deinem Hund die Leckerchen (die sollten natürlich auch tatsächlich lecker sein).
Dann fängst du ganz langsam an zu zählen: „Eins“ und nachdem du ausgesprochen hast, greifst du langsam mit einer Hand in den Leckerchenbeutel, nimmst ein Leckerchen raus und legst es demonstrativ in die andere Hand.

Jetzt zählst du „Zwei“, greifst wieder in den Leckerchenbeutel und legst das zweite Leckerchen in die Hand, dann zählst du „Drei“ usw.

Achte auf die Reihenfolge: zuerst wird die Zahl genannt, dann wird in den Leckerchenbeutel gegriffen.

Fressorgie
Hat der Hund ruhig abgewartet, bis du bis Zehn gezählt hast, dann hat er sich die Leckerchen wirklich verdient.

Du clickst und wirfst das erste Leckerchen auf den Boden. Der Hund wendet sich von dir ab, um das Leckerchen zu holen. Du wartest, dass er anschließend wieder Blickkontakt zu dir aufnimmt, clickst und wirfst das nächste Leckerchen. Das setzt du solange fort, bis alle zehn Leckerchen verfüttert sind.

Schade – so nicht
Fängt der Hund an zu bellen, winselt, springt er an dir hoch oder bedrängt dich sonst irgendwie, sagst du „Schade“ und legst die Leckerchen wieder zurück in den Beutel.

Danach wartest du etwa 10 Sekunden, dann beginnst du das Spiel wieder von vorne.

Den Hund bei der Stange halten
Die wenigsten Hund werden anfangs tatsächlich bis Zehn ruhig warten können. Wenn nun jedes Mal die Leckerchen wieder zurück in den Beutel wandern, verliert der Hund sehr schnell die Lust am Spiel. Das würde dir ja nicht anders gehen.

Achte deshalb darauf, bei welcher Zahl es dein Hund nicht mehr aushalten konnte. Hat er z.B. kurz vor der Zahl Vier angefangen, an dir hochzuspringen, dann zähle beim nächsten Mal nur bis Drei und verteile dann die Leckerchen.

So merkt dein Hund, dass es sich lohnt, ruhig abzuwarten. Auch in den nächsten Durchgängen zählst du erst einmal nur bis Drei, so dass dein Hund immer die Leckerchen bekommt.

10 Richtige
Jetzt lässt du deinen Hund länger warten, d.h. das nächste Mal zählst du bis Vier. Wenn das kein Problem mehr für den Hund ist, dann zählst du bis Fünf usw.

Dein Hund kann jetzt immer länger in Ruhe auf die Leckerchen warten.

Neu mischen
Du kannst die Übung natürlich verändern, indem du mit Superleckerchen trainierst oder du zählst bis 20…

Vielleicht möchtest du auch, dass sich der Hund ablegt, bevor er die Leckerchen bekommt oder… ?

Stolpersteine
Der Hund bleibt nicht bei mir! - Verwende besseres Futter! Wofür würde dein Hund alles geben? Vielleicht ist es dein Hund noch gar nicht gewohnt, in Ruhe abzuwarten?
Dann zähle anfangs nur EINS. Clicke und belohne sofort.

Hast du nun die Aufmerksamkeit deines Hundes, zählst du EINS, nimmst das Leckerchen und legst es in deine Hand. Click & Belohnung. Wiederhole das ungefähr 10 Mal.

Im nächsten Schritt sagst du EINS, legst das Futter in deine Hand und wartest eine Sekunde bevor du clickst. Auch das wiederholst du mindestens 10 Mal.

Jetzt kannst du bis ZWEI zählen…

Achte darauf, anfangs nicht länger als 2 Minuten mit deinem Hund zu üben. Am besten stellst du dir einen Küchenwecker!

Mehr als nur ein Spiel
Jetzt kennt dein Hund dieses Spiel. Er wird es lieben, gibt es doch eigentlich für nichts eine Menge guter Leckerchen. Wenn sich dein Hund gerade überhaupt nicht um dich kümmert, fange doch einfach mal an zu zählen. Sobald du EINS sagst, sitzt dein Hund wahrscheinlich vor dir…

Jetzt kannst du das Spiel auch in anderen Situationen nutzen.

Das große Fressen
Viele Hunde springen unruhig in der Küche herum, wenn ihr Fressen gerichtet wird. Zähle, während du das Fressen vorbereitest und auf den Boden stellst. Jammert  der Hund, dann wird die Futterschüssel mit dem Wort „Schade“ wieder hoch gestellt. Du wartest 10  Sekunden und fängst erneut an zu zählen.

Die ewige Bellerei
Ich sitze im Arbeitszimmer, die Hunde liegen meistens im Wohnzimmer. Der Hund von nebenan bellt oder es gehen Menschen am Haus vorbei oder das Postauto hält oder… Sofort geht die Bellerei los. Lynn fängt an, Bonnie stimmt ein. Das kann wirklich unheimlich nerven. Ignorieren hilft da nicht wirklich. Auch der Tipp, das Bellen unter Signalkontrolle zu stellen oder in die Ruhepausen reinzuclicken, hat bei uns keine Verbesserung gebracht.

Aber das 10-Leckerchen-Spiel!
Fangen die Hunde an zu bellen, beginne ich zu zählen. Und sofort kommen die Hunde zu mir ins Arbeitszimmer gelaufen, um mitzuspielen.

Manchmal ist es jetzt schon so, dass nur noch einmal kurz gewufft wird und die Hunde sofort zu mir kommen, d.h. die Störung draußen ist für die Hunde zum Signal geworden, eine Runde mit mir zu spielen.

Warten in der Hundeschule
Ich habe eine Hündin im Training, die es nicht erträgt, den anderen Hunden beim Arbeiten zuzuschauen. Sie kann sich richtig ins Bellen reinsteigern.

Auch hier hilft das 10-Leckerchen-Spiel.
Es klingelt an der Tür
Viele Hunde flippen völlig aus, wenn es an der Tür klingelt. Sie rennen an die Tür und lassen sich nicht mehr beruhigen. Fange jetzt an zu zählen und laufe dabei langsam in Richtung Hundedecke. Hier bekommt der Hund jetzt die Leckerchen…

Was noch?
Vielleicht überlegst du dir noch andere Möglichkeiten, das 10-Leckerchen-Spiel einzusetzen.


Rassetypische Verhaltens- und Hormonprobleme beim britischen Hütehund

Feinfühlige Britische Hütehunde
Text: Udo Ganslosser und Sophie Strodtbeck aus dem Schweizer Hundemagazin


Viele Hunderassen zeigen im Umgang mit dem Menschen eine Reihe von Verhaltensauffälligkeiten, die leichter verständlich werden, wenn man sich die Verwendung der jeweiligen Rasse in ihrer früheren Arbeitsgeschichte vor Augen führt. Viele Verhaltenweisen, die einen Hund zu einem guten Arbeitshund gemacht haben, sind im Alltag eines Familienhundes störend bzw. schwierig. Vielfach werden diese Verhaltenseigenschaften auch durch Botenstoffe im Gehirn, Hormone und andere innere Faktoren beeinflusst. Lesen Sie heute über die Besonderheiten der britischen Hütehunde.

Entstehung und Unterschiede
Die Gruppe der britischen Hütehunde enthält eine Reihe von Hunderassen, die in ihrem Aussehen und ihrer ursprünglichen Tätigkeit durchaus ähnlich waren bzw. sind. Da es auf den Britischen Inseln schon seit sehr langer Zeit keine grossen Beutegreifer wie etwa Bären oder Wölfe mehr gibt, waren die Schäfer und Viehzüchter in diesen Ländern nicht gezwungen, Hunde zu züchten, die das Vieh auch gegen Raubtiere beschützen sollten. Sie konnten sich also darauf konzentrieren, Arbeitshunde zu schaffen, die beim Treiben, Hüten und gegebenenfalls Teilen der Herde behilflich waren. Die Herden waren auch lange Zeit ohne Schäfer alleine auf den Wiesen unterwegs. Dafür brauchte man selbstständige Hunde.

Zugleich war das sprichwörtliche, oft neblig-trübe Wetter mit ursächlich für eine Reihe von wichtigen Eigenschaften der dort arbeitenden Hunde. Zum einen mussten sie auch über grössere Distanz gut sichtbar sein, und bei solchem Wetter fällt ein gescheckter Hund eben mehr auf als ein einfarbiger. Andererseits mussten sie, zumindest bei schlechtem Wetter, auch über grössere Distanzen rein durch Pfiffe oder andere Laute seitens des Schäfers dirigierbar sein. Daraus entstand eine sehr hohe Geräuschempfindlichkeit. Diese wiederum ist bereits eines der Probleme, das bei britischen Hütehunden sehr oft auftritt. Sie wird noch verstärkt durch eine leichte sogenannte subklinische (leicht verlaufende) Schilddrüsenunterfunktionen. In einer neueren Studie an der tiermedizinischen Fakultät der Universität München konnte gezeigt werden, dass bei Bearded Collies selbst ohne eine medizinisch auffallende Schilddrüsenunterfunktion die Gabe von Schilddrüsenhormon wesentlich dazu beitrug, Geräuschangst und übermässige Geräuschempfindlichkeit zu dämpfen.

Der MDR1-Defekt
Über das Cortisolsystem und damit die Stressempfindlichkeit wirkt sich ein leider bei vielen Rassen der britischen Hütehunde verbreiteter Gendefekt aus, der als MDR1 bezeichnet wird. Es handelt sich um einen Gendefekt, der im Wesentlichen die Bluthirnschranke betrifft. Dadurch wird der Übertritt vieler Substanzen aus dem Blutkreislauf in den Hirnstoffwechsel verändert. Bekannt sind die Auswirkungen auf die Verträglichkeit von Medikamenten. Nicht nur Antiparasitika und Narkotika, sondern auch eine Vielzahl anderer Medikamente werden durch diesen Defekt ins Gehirn aufgenommen und können dort zu schwer wiegenden Schädigungen und lebensbedrohlichen Zuständen führen. Der MDR1-Defekt wird rezessiv vererbt, das heisst, ein Hund erkrankt nur dann, wenn beide Chromosomen das schadhafte Gen in sich tragen. Neben der Empfindlichkeit für Medikamente ist jedoch bei reinerbigen MDR1-Hunden noch eine weitere Auswirkung von Bedeutung. Der Rückkopplungskreis, der die Konzentration des Stresshormons Cortisol in einer feinen Abstimmung zwischen Hirnanhangsdrüse und Nebennierenrinde regelt, ist gestört. Dadurch kommt es zu sehr starken Schwankungen des Stresshormons Cortisol, und bereits bei geringfügigen Belastungen zu einer starken Erregbarkeit des Hundes, die sich bis zur Panik und Angstanfällen steigern kann. Auch wenn die Auswirkungen des MDR1-Defekts bisher nur bei reinerbigen Genotypen (beide Elterntiere sind Chromosomen-Träger der veränderten und damit krankmachenden Genvariante) medizinisch belegt sind, könnten geringfügigere Konzentrationsschwankungen durchaus auch bei mischerbigen Hunden denkbar sein. Für einige Medikamente zumindest sind auch die Mischerbigen bereits anfällig. Der MDR1-Defekt ist bei Tierärzten schon sehr lange bekannt, aber seine Ursache nicht. Tierärztliche Erfahrungsberichte sprachen schon immer davon, dass einige Collies sich in Krankheiten regelrecht hineinstürzten und fast hypochondrisch ihre Krankheiten auszuleben schienen, während andere viel schneller dazu bereit waren, Behandlungen zu akzeptieren und selbst bei ihrer Gesundung «mitzuhelfen». Bei der erstgenannten Gruppe handelt es sich möglicherweise um die MDR1-Collies, bei denen verschiedene Krankheiten in Zusammenhang mit einem ohnehin überforderten Cortisolsystem eben noch stärker ausgeprägt waren.

Persönlichkeitseigenschaften
Dass die Gruppe der britischen Hütehunde keineswegs in ihrem Verhalten homogen ist, sondern viele Unterschiede in Persönlichkeitseigenschaften aufweist, zeigt die gross angelegte Budapester Vergleichsstudie aus der Arbeitsgruppe rund um Professor Miklosi. Dort wurden 96 verschiedene Hunderassen durch einen Fragebogen getestet, den nahezu 10 000 Hundehaltern über verschiedene Zeitschriften und Websites bearbeiteten. Sie ordneten ihren Hunden dann bestimmten Eigenschaften zu, und die mit diesen Fragen verknüpfte Punkteverteilung liess sich auf eine Reihe von Persönlichkeitsachsen reduzieren. In der Auswertung wurden dann vier Persönlichkeitsachsen berücksichtigt, nämlich Gelassenheit und emotionale Stabilität, Trainierbarkeit und Offenheit für neue Erfahrungen, Geselligkeit mit Hunden und Extrovertiertheit beziehungsweise Kühnheit. Vier Rassen britischer Hütehunde wurden unter diesen 96 Rassen mitberücksichtigt, und auf einigen Persönlichkeitsachsen unterscheiden sich die Werte zwischen diesen Rassen ganz erheblich. Folgende Werte wurden erzielt:

Border Collie     Bearded Collie    Australian Shepherd    Collie
Gelassenheit     Platz 66    Platz 47    Platz 68    Platz 58
Trainierbarkeit    Platz 4    Platz 41    Platz 3    Platz 44
Geselligkeit mit Hunden     Platz 68    Platz 5    Platz 45    Platz 26
Extrovertiertheit     Platz 62    Platz 53    Platz 55    Platz 82
 

Während beim Persönlichkeitsfaktor Gelassenheit alle vier untersuchten Rassen einigermassen gleichmässig im Mittelfeld beziehungsweise am unteren Rand zu finden sind, sind die Unterschiede in den Persönlichkeitsfaktoren Trainierbarkeit und Geselligkeit mit Hunden doch sehr erheblich. Auch die Extrovertiertheit der Rassen unterscheidet sich gewaltig.

Die Selbstbelohnungsdroge Dopamin
In weiterführenden Untersuchungen zeigte sich dann, dass gerade Hütehundrassen, die über eine lange gemeinsame Kooperationsgeschichte mit dem Menschen verfügen, sich bei unlösbaren Aufgaben viel stärker am Menschen orientieren, Blickkontakt mit ihm suchen oder ihn durch Bellen oder andere Verhaltensweisen zur Hilfe auffordern. Umgekehrt lassen sich gerade Hütehundrassen besonders gut vom Menschen auch durch Fingerzeig und andere Gesten dirigieren.

Ein Mitarbeiter des amerikanischen Hundeforschers Ray Coppinger hat bereits vor über 20 Jahren herausgefunden, dass im Hirnstoffwechsel von Border Collies und anderen Hütehunden die Konzentration des als Selbstbelohnungsdroge bezeichneten Wirkstoffs Dopamin beispielsweise gegenüber Herdenschutzhunden deutlich erhöht ist. Das bedeutet, dass die oft auch von Hundehaltern und Züchtern beschriebene Workaholic-Mentalität der Border Collies, Australian Shepherds und verwandter Rassen eine Grundlage in der Neurobiologie hat. Ein erhöhter Dopaminspiegel führt nicht nur zu einem verstärkten Selbstbelohnungseffekt bei gelösten Aufgaben, sondern versetzt das Tier auch in eine freudig-erregte Erwartung bei erneutem Auftreten von Randbedingungen, die beim letzten Mal einen solchen Erfolg begleitet haben. Der bekannte Effekt, dass gerade Border Collies, Australian Shepherds und verwandte Rassen oftmals schon beim Betreten des Parkplatzes vor der Hundeschule in völlige Aufregung verfallen, oder beispielsweise im Agility-Parcours kaum mehr zu bremsen sind; dies lässt sich also teilweise durch diese freudige Erwartung (antizipativer Effekt des Dopamins) erklären. Gekoppelt mit der ebenfalls bereits erwähnten rassetypischen Eigenschaft zur Rückorientierung auf den Menschen und zu häufigen Blickkontakten entsteht dann unter Umständen eben der bekannte Border Collie oder Australian Shepherd, der fiepsend und quiekend vor Begeisterung ständig seinen Menschen anschaut und diesen zu noch schnellerer und heftigerer Aktivität auffordert.

Stereotypien und Zwangshandlungen
In der Domestikationsgeschichte des Hundes wurden Treib- und Hütehunde dadurch geschaffen, dass bestimmte Elemente des Beutefangverhaltens aus dem wölfischen Gesamtverhalten heraus selektiert und verstärkt beziehungsweise überhöht wurden. Besonders zu nennen sind hier die mittleren Teile der gesamten Beutefangkette, nämlich Fixieren, Anschleichen und Zupacken. Um dieses Verhalten stundenlang an grossen Schafherden immer wieder zeigen zu können, darf es nahezu nicht ermüden. Eine sogenannte hohe Persistenz (man könnte auch Sturheit dazu sagen) bei der Ausübung dieser Aufgaben ist also ebenfalls rassetypisch erwünscht gewesen. Wenn ein Hütehund eine grosse Herde zu betreuen hat, gibt es eben immer wieder ein Schaf zurückzutreiben, im Zaum zu halten oder anderweitig zu beeinflussen. Da kann der Hund nicht einfach nach dem dritten Schaf keine Lust mehr haben und deshalb aufgeben…

Auch hier sind wieder neurobiologische Probleme versteckt. Eine hohe Persistenz, das zeigen Untersuchungen an anderen Tierarten sowohl im Labor als auch an Bären aus langweiligen, schlechten Zwingerhaltungen, ist oftmals gekoppelt mit einer besonderen Anfälligkeit für Stereotypien und Zwangshandlungen. Wer schon im Alltag bestimmte Handlungen nahezu ermüdungsfrei immer wieder wiederholt, wird auch dazu neigen, bei Langeweile oder anderweitig unzureichenden Bedingungen eine Stereotypie zu entwickeln. Gerade Border Collies und in vermindertem Ausmass auch Australian Shepherds neigen bekanntlich zur Entstehung von Zwangshandlungen. Schattenjagen, stundenlanges Anstarren von Treppenstufen und unbewegten Gegenständen oder auch die Neigung, als Ball- und Stöckchenjunkie in einen Rauschzustand zu versinken, sind rassetypisch. Erniedrigte Reizschwellen und damit leichtere Auslösbarkeit für die Elemente des Fixierens, Anschleichens beziehungsweise -rennens und Zupackens sind Risikofaktoren für die Entstehung eines Bällchenjunkies. Auch hier ist wieder die erhöhte Persistenz ein zusätzlicher Risikofaktor, der die Handlung eben nahezu ermüdungsfrei, notfalls stundenlang wiederholen lässt. Wenn Halter und Trainer dann glauben, einen solchen Hund durch noch mehr Beschäftigung und noch mehr Aktivismus auslasten oder gar ermüden zu können, beginnt eine unheilvolle Spirale, die schliesslich zu einem völlig «durchgeknallten» Suchtpatienten führen kann. Und genau wie in der menschlichen Suchttherapie ist auch bei der Dopaminsucht eines Balljunkies nur noch die konsequente Abstinenz, also das Fernhalten von jeglichem auslösenden Reiz möglich. So wie der trockenen Alkoholiker keine Schnapspraline mehr haben darf, sollte der Border Collie-Balljunkie kein einziges Mal mehr hinter einem geworfenen Ball, Stock, Futterbeutel oder ähnlichem hinterher hetzen. Auch die heute so moderne Reizangel ist für solche Hunde buchstäblich Droge.

Möglicherweise hat noch eine andere Erkrankung, die gerade bei Border Collies und Australian Shepherds auftritt, ihre neurobiologischen Wurzeln hier.

Epilepsie
Gerade beim Border Collie tritt relativ häufig eine genetisch verursachte Epilepsie auf. Nach Ausschluss aller anderen Ursachen, etwa Hirntumore, Schädelverletzungen, Schilddrüsenunterfunktion und so weiter, verbleibt bei der Analyse der Krankheitsdaten von epilepsieanfälligen Border Collies eine grosse Gruppe, die nur schwer auch medikamentös zu behandeln ist. Bei diesen Hunden, bei denen sich die epileptischen Anfälle meist schon im frühen Alter zeigen, ist auch die Prognose insofern ungünstig, als sie oftmals in kurzer Zeit schwer wiegende Anfälle entwickeln und möglicherweise sogar an einem Anfall sterben oder wegen ihrer schweren Epilepsie eingeschläfert werden müssen. Familiäre Häufungen solcher unerklärlicher Epilepsiepatienten deuten allerdings auf eine komplizierte und nicht den einfachen Mendelschen Regeln folgende Vererbung hin. Es ist also wichtig, diese Hunde und ihre Verwandten konsequent von der Zucht auszuschliessen. Alter, Geschlecht oder Kastration haben nachweislich keine Auswirkung auf diese Form der Epilepsie, bei manchen begann die Epilepsie sogar erst unmittelbar im Zusammenhang mit der Kastration erstmals aufzutreten. Eine allgemeine Stressanfälligkeit ist die einzige durchgängig von Haltern solcher Hunde geschilderte Gemeinsamkeit. Wenn man bedenkt, dass Epilepsie beim Hund offensichtlich mit dem Botenstoffsystem des Acetylcholins und einigen Regionen im seitlichen Zwischenhirn zu tun hat, die auch an der Steuerung des Jagdverhaltens beteiligt sind, könnte ein wenn auch noch sehr hypothetischer Zusammenhang hier durchaus herstellt werden.

Eines zumindest ist medizinisch durchaus schon nachgewiesen, nämlich dass unmotiviertes Jagen von Schatten, Lichtkringeln oder imaginären Fliegen, vor allem wenn es sehr häufig wiederholt oder lang anhaltend fortgesetzt wird, eine milde Vorstufe der Epilepsie darstellt. Leider werden solche Warnsignale eben oft von Haltern und auch manchen Therapeuten übersehen. Es bedarf also einer sehr genauen Ursachenabklärung.

Vergleich Border Collie – Australian Shepherd
Im Zusammenhang mit dem Auftreten von Verhaltensstörungen (Stereotypien oder auch Zwangshandlungen, siehe oben) wurden Halter von Australian Shepherd und Border Collies im Rahmen einer Dissertation an der Tierärztlichen Hochschule Hannover verglichen. Bemerkenswert war, dass viel mehr Halter von Border Collies als von Australian Shepherds ursprünglich angaben, den Hund als Arbeitshund, Turnierhund oder für spezielle Formen der Beschäftigung angeschafft zu haben.

Für eine Reihe von Verhaltensstörungen (übermässige Furchtsamkeit, Angstanfälligkeit, Geräuschprobleme, Stereotypien) war der Prozentsatz der befallenen Border Collies wesentlich höher als der bei den Australian Shepherds. Für stereotypes oder übermässiges Bellen dagegen lag der Prozentsatz beim Australian Shepherd wesentlich höher als beim Border Collie. Beide Rassen zeigten nur sehr geringe Tendenzen zur Aggression. Bemerkenswert war ein anderes Ergebnis der Studie, nämlich dass die Intensität des Starrens als Zwangshandlung wie auch die Intensität von Stereotypien in der als Hütehund genutzten Gruppe wesentlich geringer ausfiel als bei Familienhunden.

Hundesport als Auslastung hatte beim Border Collie keinen Effekt auf die Ausbildung von Stereotypien und Zwangshandlungen! Die Neigung zum Kneifen (das sogenannte Heeling) war bei den Arbeitshunden verstärkt gegenüber den Familienhunden. Hunde, die im Turniersport genutzt wurden, zeigten ebenfalls eine verstärkte Neigung zum Heeling. Welche Art von Sport wie häufig ausgeübt wurde, hatte keinen Effekt. Hunde, die regelmässig Hundekontakt hatten und seltener von ihren Haltern alleine gelassen wurden, hatten eine geringere Anfälligkeit für Stereotypien. Ebenso war die Neigung zur Ausbildung stereotypen Verhaltens geringer bei Hunden, die mit den menschlichen Familienmitgliedern in der Zuchtstätte regelmässigen Sozialkontakt hatten, und bei solchen, die keinen oder nur wenige Halterwechsel erfahren haben. Die Herkunft aus einer sogenannten Show- oder Arbeitslinie hatte dagegen keinen erkennbaren Einfluss auf eine der genannten Verhaltensauffälligkeiten.

Showlinie?
Gerade in diesem Zusammenhang muss betont werden, dass die Thematik der sogenannten Show- gegenüber den Arbeitslinien häufig falsch verstanden wird. Hunde aus Showlinien sind nicht die besseren Familienhunde. Sie sind schlichtweg aufgrund ihrer geringeren Kontrollierbarkeit und Steuerbarkeit schlechtere Arbeitshunde. Hier ist noch eine weitere Dissertation aus Hannover von Interesse: die Erblichkeit der Verhaltensmerkmale bei der Leistungshüteprüfung von Border Collies zeigte sich zu etwa 4–5 %. Weit über 90 % der Unterschiede zwischen dem besten und dem schlechtesten bei einem Hüteturnier konnten nicht durch die Leistungen der Eltern in vergleichbaren Situationen vorhergesagt werden. Man kann auch zwei Leistungssieger miteinander kreuzen und einen Hund bekommen, der eben nicht weiss, was er in schwierigen Situationen mit einer Schafherde anfangen soll.

Hierbei geht es dann aber nicht um die wohl weitgehend genetisch fixierten Verhaltenselemente des Fixierens, Anschleichens und Zupackens. Für diese Verhaltensweisen wurden sogar schon Kandidatengene identifiziert. Man hat also schon eine sehr genaue Vorstellung, welcher Abschnitt auf welchem Chromosom wohl für die Weitergabe dieser starren Verhaltensmuster verantwortlich ist. Anders beim Phänomen des sogenannten «Sheep sense», der dafür verantwortlich ist, das Verhalten der Schafherde vorherzusehen und allenfalls die notwendigen Gegenmassnahmen an der richtigen Stelle ergreifen zu können, um die nervöse Herde auch bei schlechtem Wetter in einen nebeligen Pferch zu treiben. Foto 9

Hüten als Bespassung?
Letztlich muss aus Tierschutzgründen eines deutlich festgehalten werden: Es ist hochgradig tierschutzwidrig, auf sogenannten Hüteseminaren ungeeignete oder auch unerfahrene Border Collies, Australian Shepherds oder andere Hütehunde mit armen, unschuldigen Schafen oder auch Jungrindern als Hüteobjekte zu beschäftigen. Auch die auf vielen Hundemessen übliche Unsitte, Border Collies beim Hüten von Laufentengruppen zu zeigen, wird glücklicherweise in Deutschland immer öfter von motivierten und aufmerksamen Amtstierärzten konsequent unterbunden. Der Tierschutz darf nicht beim Hund aufhören, und ein gehütetes Schaf befindet sich in einer permanenten Stresssituation, wenn es von einem potenziellen (unerfahrenen und fremden) Beutegreifer übermässig lange fixiert oder immer wieder angegangen wird. Wenn ein arbeitender Border Collie mit mehreren hundert Schafen zu tun hat, ist dies eine ganz andere Situation als bei einem unterbeschäftigten Familienhund, der dann am Wochenende auf 5 oder 10 Schafe losgelassen wird.
Nur in einem Zusammenhang ist möglicherweise der Kontakt zu lebendem Vieh tatsächlich eine Lösung für manche Probleme. Border Collies, die als reine Sport- und Familienhunde gehalten wurden und keinen Kontakt zu Vieh hatten, zeigten insgesamt häufiger Hüteverhalten gegen die menschlichen oder hundlichen Familienmitglieder oder auch unbewegten Objekten, als solche, die in ihrer frühen Junghundzeit Kontakt mit lebendem Vieh hatten.

Der ideale Familienhund?
Abschliessend ist zu bemerken, dass gerade die Angehörigen der spezialisierten Rassen nur mit grossem Aufwand verhaltensgerecht zu halten sind. Trotz oder gerade wegen ihrer überdurchschnittlich hohen Intelligenz, Selbstständigkeit und Fähigkeit zur Lösung von Problemen sind sie im Alltag oftmals unzufrieden. Ihre rassebedingte Fähigkeit, sich selbstständig Problemlösungen zu suchen, bringt sie oft auch auf Wege, die dem Menschen nicht angenehm oder sogar störend sind. Die dopamingesteuerte Fähigkeit, selbst verschaffte Erfolgserlebnisse sehr schnell abzuspeichern und mit freudiger Erwartung wieder zu zeigen, macht sie anfällig für Verhaltensstörungen. Je spezialisierter also ein Hund ist, desto weniger ist er als «Nur-Familienhund» geeignet!

Rassentypische Verhaltens- und Hormonprobleme beim Retriever

Die «vielseitigen» Retriever
Text: Udo Ganslosser und Sophie Strodtbeck

aus dem Schweizer Hundemagazin


Die Gedanken an die Retrieverrassen lösen bei Hundehaltern eine ganze Reihe oft widersprüchlicher Eindrücke und Erwartungen aus. Während die einen, vorwiegend jagdlich Interessierten an sehr gut arbeitende Apportierhunde denken, die schon bei kleinsten Hinweisen und Handzeichen zielsicher die Beute beziehungsweise das Dummy aus dem dichtesten Gestrüpp holen, denken andere an gut arbeitende Behindertenbegleithunde, die ihrem menschlichen Partner im Alltag in vielerlei Weise das Leben erleichtern.

Manche aber denken auch an verfettete, distanzlose Hunde, die auf der Hundewiese nicht nur der Schrecken vieler ihrer vierbeinigen Artgenossen sind, sondern in ihrer manchmal penetranten Art auch Zweibeiner auf harte Geduldsproben stellen.

Alleine die Tatsache, dass in der Wahrnehmung der hundeinteressierten Öffentlichkeit das Bild der Retriever meistens nur von zwei Rassen bestimmt wird, zeigt, wie unterschiedlich die Wahrnehmung und die Realität dieser interessanten Rassegruppe doch sind. Zur Gruppe der Retriever gehören insgesamt sechs Rassen, von denen zumindest drei so weit verbreitet sind, dass sie in der Budapester Vergleichsstudie mit eigenen Punktewertungen erfasst wurden.

                                    Labrador    Golden Retriever    Flat Coated Retriever
Gelassenheit                      36                44                            27
Trainierbarkeit                    26                56                            13
Geselligkeit mit Hunden    14                 16                            10
Extrovertiertheit                 13                36                              5
 

Bemerkenswert ist bereits hier, dass die Rassen in dieser Tabelle zumindest in einigen Bereichen sehr unterschiedliche Werte erzielen. Allgemein gültig ist bei ihnen dagegen die Geselligkeit mit Hunden. Dies war auch in der Rassengeschichte nötig, da ein Jäger oft mit mehreren Jagdkollegen, bisweilen auch mit mehreren Apportierhunden gemeinsam unterwegs war.

Retriever wurden seit jeher auf enge Kooperation mit dem Menschen gezüchtet. Dies zeigen nicht nur ihre Leistungen gerade als Behindertenbegleithunde oder auch die oft hervorragenden Leistungen beim Apportieren. Auch in mehreren wissenschaftlichen Studien wurde belegt, dass Retriever, ähnlich wie die im letzten Beitrag besprochenen britischen Hütehunde, besonders gut auf Zeigegesten des Menschen reagieren und sich dadurch ihre Informationen etwa über verstecktes Futter holen. Andererseits aber neigen sie ähnlich wie die Hütehunde auch dazu, bei unlösbaren Aufgaben sehr viel schneller aufzugeben und Hilfe vom anderen Ende der Leine anzufordern. Selbstständig arbeitende Rassen, wie etwa Herdenschutzhunde oder Bauhunde (Dackel, Kleinterrier), sind hier wesentlich hartnäckiger und versuchen, das Problem auch längere Zeit selbst zu lösen.

Von Zeigegesten und Schädelform  
In der Studie über die unterschiedliche Nutzung von Zeigegesten wurde noch eine zweite Linie der Analyse verfolgt. Neben der Rassengeschichte und den früheren Aufgaben dieser Hunde wurden die Ergebnisse auch noch mit der Schädelform in Beziehung gesetzt. Hierbei fiel auf, dass Hunde mit einem eher kurzen und breiten Schädel bei der Lösung der Zeigeaufgaben besser abschnitten als Hunde mit einem langen, schmalen Schädel. Ob dies nun mit dem grösseren Augenabstand und der damit verbesserten Fähigkeit zum räumlichen Sehen oder mit einer Vergrösserung der zwischen den Augen liegenden, für die Verarbeitung optischer Reize notwendigen Hirnregionen zusammenhängt, ist noch nicht vollständig geklärt. Wahrscheinlich aber ist es eher die letztere Erklärung.

Mit der Verkürzung und Verbreiterung des Schädels sind wir aber bereits bei einem der grossen Probleme der Retriever heute angekommen: Sie werden häufig als «Familienhunde» gezüchtet, und dabei wird unter anderem auch bei ihnen auf einen kurzen, breiteren Schädel mit hoher Stirn Wert gelegt. Schliesslich möchte man auch hier das Kindchenschema zum Ausdruck bringen.

Die Entwicklung zum Familienhund, bisweilen sogar zum Modehund, hat aber für die Retrieverrassen keineswegs nur positive Auswirkungen. Vielfach wird ja angenommen, dass ein Hund der sogenannten Show-Linie der bessere Familienhund wäre. Dies ist jedoch in den meisten Fällen nicht gegeben. Die Hunde der Show-Linie sind einfach schlechtere, manchmal sogar unbrauchbare Arbeitshunde. Sie wurden eben weitgehend unselektiert gezüchtet und keineswegs gezielt auf Familientauglichkeit ausgewählt. Zudem wird kein Hund als «Familienhund» geboren; es gibt Rassen, wie zum Beispiel die Retriever, die sich grundsätzlich gut als Familienhunde eignen, jedoch müssen auch diese entsprechend geprägt und sozialisiert werden. Aber auch ein Retriever wird kein glückliches Leben führen, wenn er nur an der Leine neben dem Kinderwagen hertrotten darf.

Auch dort, wo auf Anpassungsfähigkeit selektiert wird, stösst man oft auf das Phänomen: «Gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht.» So muss sich bei der Zuchtprüfung im Deutschen Retriever Club (DRC) der Hund vom einem ihm völlig unbekannten Zuchtrichter widerspruchslos und ohne sich zu wehren auf den Rücken drehen lassen. Damit wird jedoch eine Selektion auf allgemein unterwürfig-submissives Verhalten, bisweilen aber auch auf eine damit verbundene soziale Distanzlosigkeit gefördert. Viele verantwortungsbewusste Retrieverzüchter sind übrigens aus diesem Grunde freiwillig aus dem Richteramt ausgeschieden, da sie den Sinn dieses Tests nicht einsehen und ihn daher nicht weiter verfolgen wollten.

Wer jagen muss, braucht Energie  
Auch die sprichwörtliche Verfressenheit der Retrieverrassen hat ihre Herkunft in der ursprünglichen Arbeitsgeschichte. Einerseits sind Apportierhunde, deren Tätigkeit ja aus einem Teil der Beutefanghandlung des Wolfs besteht, ohnehin darauf selektiert, möglichst alles erstmal in die Schnauze zu nehmen. Andererseits war es ihre Aufgabe, gerade bei der Wasservogeljagd auch im Winter geschossene Vögel aus dem Eiswasser zu holen. Dabei ist sicherlich eine schützende Speckschicht als Isolation von Vorteil. Zudem verbrennt der Körper bei dieser Tätigkeit Unmengen von Energie. Es ist also von Vorteil, hinterher möglichst schnell in grossen Mengen Futter zu sich zu nehmen und die aufgebrauchten Energievorräte zu ergänzen.

Es ist zu vermuten, dass bei diesen Hunderassen das sogenannte Leptinsystem an der Steuerung der Nahrungsaufnahme beteiligt ist. Leptin, ein Hormon, das in gefüllten Fettzellen und der körpereigenen Fettschicht produziert wird, wird normalerweise ins Gehirn gebracht und sorgt dort für eine natürliche Essbremse im Hirnstamm. Bei Labortieren, beim Menschen, bei Bären vor der Winterruhe und ansatzweise auch bei einigen anderen Tierarten wurde dieses feinfühlige Rückkopplungssystem bereits belegt. Sobald eine gewisse Menge an Fett angefuttert ist, wird über das Hormonsystem im Hirnstamm die Essbremse aktiviert. Es ist zu vermuten, dass rassentypische Gegebenheiten, etwa die Tendenz zum schnellen Anfuttern einer isolierenden Speckschicht, durch Veränderungen im Leptinsystem hervorgerufen wurden. Ein weiterer Risikofaktor im Leptinsystem liegt nun bemerkenswerterweise gerade im Schicksal der Retriever als Mode- und beliebte Familienhunde. Wegen der hohen Beliebtheit werden grosse Mengen von Welpen bisweilen auch von wenig verantwortungsvollen Züchtern, häufig sogar von sogenannten Massenvermehrern auf den Markt gebracht. Nachgewiesen ist, und das deckt sich auch mit unseren Ergebnissen in der Verhaltensberatung, dass gerade Hunde aus ungünstigen, unsicheren, langweiligen oder sonstwie schlecht geplanten Zuchtstätten eine Veränderung im Rückkopplungssystem des Leptins erfahren. Solche Tiere neigen dann später besonders zu Fettleibigkeit. Offensichtlich funktioniert die Essbremse bei ihnen nicht in gleicher Weise. Wir haben es also hier mit einer fatalen Mischung von individualgeschichtlichen und rassengeschichtlichen Risikofaktoren zu tun.

Die Folgen des Übergewichts sind dann medizinisch in vielfältiger Weise erkennbar. Stoffwechselkrankheiten, Verdauungsprobleme, Gelenkerkrankungen, ein höheres Risiko für Narkoseprobleme, aber auch ein höheres Risiko für Demenz im Alter sind die Folge. Es lohnt sich also durchaus, durch gezielt gesteuerte Fütterung, beispielsweise durch die Erhöhung des Faseranteils und Reduzierung des Fettanteils, die Nahrung des Retrievers so gestalten, dass er nicht völlig aus der Form gerät. Trotzdem muss auch hier wieder vor ungeplanten «FDH-Diäten» gewarnt werden. Trotz reduziertem Energiegehalt muss auf Ausgewogenheit der Nährstoffe, vor allem auf die sogenannten Mikronährstoffe (Vitamine, Spurenelemente, Mineralien) geachtet werden.

Und Bewegung ist sehr wichtig. Besonders vorteilhaft ist es, wenn diese Bewegung im Wasser stattfinden kann. Übrigens konnte dies, zumindest bei Labradoren, auch im Wahlversuch nachgewiesen werden: Man stellte die Hunde vor die Wahl, ob sie lieber mit einem Menschen, einem anderen Hund oder allein in einem Wasserbecken spielen wollten. Mit grosser Mehrheit entschieden sich die Hunde für das Spiel im Wasser. Diese Tendenz sollte der Hundehalter nutzen, auch wenn sein vierbeiniger Freund dann hinterher vielleicht nicht mehr perfekt gekämmt und herausgeputzt aussieht.

Dick sein macht krank
Eine Reihe anderer gesundheitlicher Risikofaktoren ist ebenfalls mit dem Thema Übergewicht direkt oder indirekt verknüpft. So finden wir eine rassenbedingte Anfälligkeit sowohl für Schilddrüsenunterfunktion als auch für Epilepsie. Im Falle der Epilepsie ist ein rezessiver Erbgang bereits belegt. Das bedeutet, dass ein gesund erscheinender Hund Überträger eines veränderten Chromosoms sein kann. Wenn dann der andere Elternteil ebenfalls verdeckter Überträger ist, entstehen mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit Welpen, bei denen die Krankheit ausbricht. Da Epilepsie wiederum bei Übergewichtigen, aber auch bei kastrierten, vor allem bei frühkastrierten Hunden mit besonders hoher Wahrscheinlichkeit auftritt, finden wir hier erneut eine Verknüpfung mehrerer Risikofaktoren. Denn gerade die sogenannten leichtführigen Familienhunde werden oft zur angeblichen Steigerung ihrer Anpassungsbereitschaft auch noch kastriert. Übrigens haben Kastraten auch eine höhere Anfälligkeit für eine Schilddrüsenunterfunktion.

Auch andere genetisch beeinflusste Verhaltensprobleme sind bei Retrievern nachgewiesen. So kann mit hoher Wahrscheinlichkeit die angstbedingte Aggression beim Golden Retriever sogar dominant vererbt werden. Das bedeutet, dass bereits ein Elternteil, der dieses Merkmal aufweist, allen seinen Nachkommen das gleiche Fehlverhalten weitergeben wird. In besonders dramatischen Fällen handelt es sich bei Aggressionsanfällen von Retrievern um die sogenannte Retrieverwut. Auch hier liegt eine genetische Ursache vor. Es handelt sich um einen geschlechtsgekoppelten Erbgang, das Merkmal sitzt also auf einem der beiden Geschlechtschromosomen. Ähnlich wie bei der menschlichen Bluterkrankheit oder bestimmten Formen menschlicher Rot-Grün-Blindheit befällt diese Erkrankung also vorwiegend das männliche Geschlecht. Genauso wie auch eine Frau rot-grün-blind sein kann, wenn von beiden Eltern ein verändertes Chromosom bei ihr ankommt, kann theoretisch auch eine Retrieverhündin an Retrieverwut erkranken. Statistisch gesehen tritt dieser Fall nur viel seltener auf, da normalerweise bei der Hündin ein gesundes Chromosom ausreicht, um die Erkrankung nicht ausbrechen zu lassen. Die Retrieverwut äussert sich in unkontrollierbaren und unvorhersagbaren Aggressionsanfällen, bei denen der betroffene Hund wahllos um sich beisst und nach wenigen Minuten aus einem scheinbaren tranceartigen Zustand wieder erwacht und genauso verwirrt ist wie sein möglicherweise gerade heftig gebissener Mensch. Es handelt sich hierbei um eine Störung im Serotoninhaushalt. Normalerweise wird das im Gehirn gebildete und freigesetzte Serotonin durch ein eigenes abbauendes Enzym (Monoaminooxidase, MAO genannt) wieder zerlegt. Bei der Retrieverwut fehlt dieses Enzym, es kommt also zu einer Anreicherung und zu starken Schwankungen des Serotoninspiegels. Dies wiederum löst die Wutanfälle aus. Derzeit gibt es keine Möglichkeit, diese Krankheit zu heilen. Betroffene Hunde müssen leider aus Sicherheitsgründen eingeschläfert werden. Es ist jedoch sehr wichtig, vor der Entscheidung alle anderen möglichen Ursachen für die unkontrollierten Wutanfälle auszuschliessen. Sowohl Epilepsie wie auch die Schilddrüsenunterfunktion können ebenfalls ähnliche Symptome hervorrufen, sind jedoch meistens medizinisch wesentlich besser behandelbar. Eine kompetente Ursachenabklärung ist daher von grösster Bedeutung.

Auch im Dopaminhaushalt, der als Selbstbelohnungs- und Lerndroge bezeichneten Substanz, gibt es bei Retrievern genetisch bedingte Unterschiede. Ein Botenstoff im Gehirn benötigt Rezeptoren oder Bindungsstellen, in die er passt wie ein Schlüssel ins Schloss. Gerade den Neurotransmitter Dopamin können wir uns als eine Art kleinen Generalschlüssel vorstellen, der mindestens ein halbes Dutzend verschiedener Bindungsstellen bedient und unterschiedliche Reaktionen hervorrufen kann. Eine bestimmte Variante dieser Bindungsstellen wird, wiederum genetisch beeinflusst, beim Labrador häufiger gefunden als beispielsweise beim japanischen Shiba Inu. Dass gerade diese beiden Rassen verglichen wurden, liegt sicher daran, dass eine japanische Arbeitsgruppe die Untersuchung durchgeführt hat. Ergebnis war jedenfalls, dass die genannte Rezeptorvariante, die sowohl mit Trainierbarkeit und Suchtentstehung gekoppelt ist, beim Labrador häufiger auftritt als beim Shiba Inu. Sie ist jedoch leider auch mit bestimmten Formen der Aggression gekoppelt. Die oft sprichwörtliche Gelehrigkeit, die Workaholic-Mentalität, der «will to please» (in der Zusammenarbeit mit dem Menschen diesem jeden Wunsch von den Augen abzulesen, nur um wieder etwas tun zu dürfen) und manche Formen der Aggressivität scheinen also genetisch miteinander verknüpft.

Die Farbe hat Einfluss auf das Verhalten
Gerade bei Labradoren und auch Golden Retrievern sind die Einflüsse der Farbgene auf das Verhalten und auf die Gesundheit bereits ausführlich untersucht. Durch eine genetische Koppelung beeinflusst dieselbe Genvariante die Ausbildung sowohl der rötlich bis gelblichen Pigmentvariante (Phaeomelanin) wie auch eine besondere Empfindlichkeit des Cortisol-Stresshormonsystems. Zusätzlich wird auch noch eine Komponente der Immunabwehr, das Beta-Defensin, bei dieser Genvariante abgeschwächt beziehungsweise verändert ausgebildet. Hellblonde bis gelblich gefärbte Labradore und Golden Retriever sind also besonders stressanfällig, neigen zu Unsicherheit und sind auch noch anfälliger für Infektionskrankheiten.

In einer australischen Studie an Labradoren zeigte sich, dass gold- beziehungsweise gelbfarbene besonders anfällig für Übersprungsverhalten waren und zu Stereotypien neigten. Die Hunde dieser Studie wurden, wie in Australien oft üblich, im Garten beziehungsweise im Hinterhof gehalten und hatten daher durchschnittlich nicht so viel Menschenkontakt wie unsere mitteleuropäischen Familienhunde. Nichtsdestotrotz zeigen auch die Ergebnisse dieser Untersuchung eine offenbar höhere Stressanfälligkeit der hellgefärbten gegenüber den dunkleren Farbvarianten.

Jedoch sind keineswegs nur Aggressionsprobleme, Stressanfälligkeit und neurologische Erkrankungen genetisch bedingt. Gerade weil die Retriever-Zuchtverbände schon seit jeher ausgedehnte Verhaltensüberprüfungen mit in die Zuchttauglichkeitsprüfung eingebaut haben, gibt es auch in mehreren Ländern umfangreiche Daten zur Erblichkeit von Verhaltensmerkmalen allgemein.

Um die Ergebnisse dieser Studien verstehen zu können, muss jedoch der Begriff der Erblichkeit im Sinne der Züchtungsgenetik eindeutig definiert werden. Der Faktor Erblichkeit gibt an, wie viel Prozent des Unterschieds zwischen den getesteten Tieren einer Generation, einer Rasse oder einer anderen Versuchsgruppe bereits vorhersagbar sind, wenn man die Ergebnisse der Eltern und Grosseltern im selben Test kennt. Für die meisten Verhaltensmerkmale liegen die Erblichkeiten sehr niedrig, Werte zwischen 1 und 15 Prozent sind am häufigsten. Für einige übergeordnete Verhaltensmerkmale, etwa die Persönlichkeitseigenschaften Trainierbarkeit, Geselligkeit oder Extrovertiertheit, liegen die Werte meist im Bereich um die 20 – 25 Prozent. Speziell für Labradore wurde beispielsweise die Konzentrationsfähigkeit mit 28 Prozent und die Führbarkeit mit 22 Prozent Erblichkeit bestimmt. Demgegenüber sind Misstrauen nur mit 10 Prozent, Ablenkbarkeit durch andere Hunde mit 8 Prozent, die Nervenstärke aber mit 58 Prozent Erblichkeit belegt.

Dies zeigt bereits, dass die Umwelt auch bei Gebrauchshunderassen einen wesentlichen Einfluss auf die Ausbildung bestimmter Verhaltenseigenschaften hat. Umso mehr gilt es dann, wenn die Selektion auf bestimmte Verhaltensmerkmale auch noch gelockert und abgeschafft wird und die betreffende Hunderasse zum reinen Familienhund, eventuell sogar mit massenhafter Vermehrung umfunktioniert wird.

Aufschlussreich ist auch ein Vergleich verschiedener Hunderassen im behördlich vorgeschriebenen Verhaltenstest im deutschen Bundesland Niedersachsen. Dieser Test, der unter anderem auch die Aggressionsbereitschaft in der Konfrontation mit fremden Menschen, mit anderen Hunden und sonstigen Testsituationen überprüft, wurde in einer Vergleichsstudie mit Angehörigen verschiedener sogenannter Listenhunderassen und dem Golden Retriever als scheinbar aggressionsärmeren Familienhund durchgeführt. Es ergab sich kein statistisch nachweisbarer Unterschied im Aggressionsverhalten zwischen dem Golden Retriever und Bullterriern, Rottweilern und Staffordshire Bullterriern.

Da gerade die Angehörigen der letztgenannten Rassen oftmals zu Unrecht einer besonders hohen Aggressivität beschuldigt werden, informieren wir Sie im nächsten Teil unserer Serie über deren rassenbedingte Verhaltenseigenschaften und mögliche Probleme.


Rassentypische Verhaltens- und Hormonprobleme beim Meutehund


Text: Udo Ganslosser, Sophie Strodtbeck

aus dem Schweizer Hundemagazin


Viele Hunderassen zeigen im Umgang mit dem Menschen eine Reihe von Verhaltensauffälligkeiten, die leichter verständlich werden, wenn man sich die Verwendung der jeweiligen Rasse in ihrer früheren Arbeitsgeschichte vor Augen führt. Viele Verhaltenweisen, die einen Hund zu einem guten Arbeitshund gemacht haben, sind im Alltag eines Familienhundes störend bzw. schwierig. Vielfach werden diese Verhaltenseigenschaften auch durch Botenstoffe im Gehirn, Hormone und andere, innere steuernde Faktoren beeinflusst.

Als erste Hundegruppe in dieser Artikelserie wollen wir uns mit den Meutehunden (Beagle, Foxhound etc.) beschäftigen, wobei der Beagle als charakteristischer Vertreter herausgegriffen wird, weil er häufig unter seinem Ruf, ein netter und kinderfreundlicher Familienhund zu sein, leidet.

Meutehunde («Hounds») sind in grösseren Gruppen selbständig unterwegs. Sie sind meist Nasenjäger, die eine einmal gefundene Fährte oft stundenlang verfolgen, ohne in direktem Kontakt mit dem Menschen zu stehen. Denn auf der Fuchsjagd kann der Hund schlecht nach zehn Minuten einfach wieder umdrehen, weil er keine Lust mehr hat. Also wurde er schon immer auf eine gewisse Beharrlichkeit und Ausdauer hin selektiert.

Zuchtziel Kooperation mit Menschen
Diese Eigenschaften sind auch in mehreren neueren wissenschaftlichen Untersuchungen deutlich geworden. In Vergleichsuntersuchen zwischen Hunden, die sehr viel in ihrer Arbeit mit dem Menschen kooperieren (etwa Apportier- und Hütehunde) mit solchen, deren Rassegeschichte eine unabhängige Arbeit vom Menschen gefordert hat (Meutehunde, Herdenschutzhunde etc.), zeigte sich, dass die Hunde der letztgenannten Gruppe bei schwierigen bis unlösbaren Aufgaben viel seltener und viel später Hilfe beim Menschen suchen. Auch im Verständnis und im Befolgen von Hinweiszeichen des Menschen (Blickrichtung, Fingerzeig etc.) sind die Hunde der selbständig arbeitenden Gruppe nicht so gut wie diejenigen, deren Rassegeschichte das ständige Zusammenarbeiten mit dem Menschen gefordert hat.
In der Budapester Vergleichsstudie, in der Hunde von 96 verschiedenen Rassen nach Persönlichkeitsachsen gelistet wurden, erreicht der Beagle Platz 51 für Gelassenheit und emotionale Stabilität, Platz 55 für Trainierbarkeit und Offenheit für neue Erfahrungen, Platz 15 für Geselligkeit und Platz 46 für Extrovertiertheit. Er liegt also für die meisten Eigenschaften mit Ausnahme der Geselligkeit für Hunde im Mittelfeld.

Fellfarbe
Eine Erfahrung, die Beaglehalter und Trainer sehr häufig machen, ist bei anderen Hunderassen auch schon durch wissenschaftliche Untersuchungen gestützt: Es gibt Zusammenhänge zwischen der Fellfarbe eines Hundes und seiner Persönlichkeit bzw. seinem Verhalten. Die schwarze oder dunkelbraune Variante des Pigments Melatonin ist gekoppelt mit einer stärkeren Aktivität des aktiven Stresssystems (Adrenalin, Noradrenalin, Dopamin), das auch Neugier, aktive Problemlösung und Offenheit für neue Erfahrungen steuert. Die rote Variante des Pigments ist gekoppelt mit einer stärkeren Aktivität des passiven Stresssystems (Cortisolsystem), das eher Problemvermeidung und abwartendes, distanziertes Beobachten einer neuen unbekannten Situation steuert. Die Erfahrung, dass Tricolor-Beagles, die mehr schwarze Anteile im Fell haben, etwas aktiver, neugieriger und damit auch vielleicht für den Halter anstrengender sind, könnte diesen biochemischen Zusammenhang bestätigen. Bei anderen Hunderassen sind diese Untersuchungen bereits systematisch durchgeführt worden und bestätigten die Vermutung.

Ausdauernde Jäger
Aus der genannten Beschreibung des Beagle-typischen Arbeitens, nämlich lange und selbständig eine Fährte zu verfolgen, lassen sich bereits eine Reihe, der für Beaglehalter typischen Probleme erklären.
Einen Jagdtrieb im klassischen Sinne gibt es nicht, da jede der etwa sechs bis sieben Verhaltensweisen in der Jagdsequenz eines Hundes ihre eigene innere Handlungsbereitschaft und unterschiedlich auslösende Situation hat. Der Erfolg beim Verfolgen einer Fährte ist dann unter anderem von der Empfindlichkeit des Riechorgans und von der Ausdauer des Hundes abhängig. Bezüglich der Empfindlichkeit des Riechorgans gibt es Angaben über die Zahl der Duftrezeptoren auf der Riechschleimhaut eines Beagles. Sie liegt zwar mit zirka 400 Millionen deutlich unter der Zahl des Spitzenreiters Bloudhound (zirka 550 Millionen), aber deutlich über des immer als Vergleichswert angeführten Deutschen Schäferhunds mit 250 Millionen Rezeptoren. Die Ausdauer eines Hundes wird wohl von verschiedenen chemischen und neurobiologischen Faktoren in Gehirn und Hormonsystem des Tieres beeinflusst. Bekannt ist, dass Tiere mit hoher Ausdauer, die beispielsweise auch sehr lange an bereits gelernten Erfahrungen festhalten, eine sehr hohe Anfälligkeit für Stereotypien und Zwangshandlungen haben. Wer sich besonders ausdauernd mit einer Aufgabe auseinandersetzt, und diese auch ohne menschliches Zutun lösen möchte, wird auch bei einer unlösbaren Aufgabe nicht so schnell aufgeben. Stattdessen besteht dann die Gefahr, dass man sich durch rhythmisch wiederholte Handlungen einen «Kick» in Form einer Dopamin-Ausschüttung verschafft, die einem bei erfolgreich bewältigter Aufgabe das «Aha-Erlebnis» verschafft hätte. Untersuchungen an Zootieren und Labortieren zeigen, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen der Ausdauer eines Tieres bei der Lösung von Problemen, dem Festhalten an bereits gelernten und erfolgreich angewendeten Lösungsstrategien und dem Auftreten von Stereotypien gibt. Und gerade bei Beagles treten Verhaltensstörungen in Form von häufig und rhythmisch wiederholten Bewegungen oft zutage.

Stereotypien entstehen besonders häufig bei Tieren, die in ihrer Jugend unter reizarmen Bedingungen aufgewachsen sind. Dann werden einige Regionen im Streifenkörper an der Basis des Grosshirns nicht ausreichend mit Dopamin-gesteuerten Fasern versorgt. Ergebnis ist ein Dopamin-Mangel in der späteren Entwicklung, den das Tier dann eben durch die rhythmisch wiederholten und selbstbelohnenden Bewegungen kompensiert. Die sprichwörtliche Beagle-Sturheit, mögliche Defizite in der Aufzucht (z. B. bei ehemaligen Labor-Beagles) und die rassetypische Tendenz, seine Probleme selbst zu lösen, anstatt Hilfe beim Menschen anzufordern, gehen hier also eine unheilvolle Verbindung ein.

Schmerz-Unempfindlichkeit
Noch eine Beagle-typische Eigenschaft, die bei der langandauernden Jagd unter Umständen von Vorteil sein kann, lässt sich mit der Chemie des Nervensystems zumindest teilweise verstehen. Die Erfahrung, dass Beagles sich auf der Jagd bzw. auf der Fährte weder von Dornen noch anderen schmerzhaften Umweltreizen abhalten lassen (dürfen), war sicherlich ein wesentliches Selektionsmerkmal in der Zucht. Die dafür verantwortlichen Botenstoffe sind wahrscheinlich Serotonin, Noradrenalin und Dopamin. Sie hemmen in absteigender Wirkung, dass heisst vom Gehirn auf das Rückenmark übergreifend, die Schmerzweiterleitung. Dadurch können unter Erregung, etwa auf der Fährte oder in der Meutejagd, hochgepuschte Hunde auch bei länger andauernder Schmerzbelastung «funktionieren». Dass ihnen die eingetretenen Dornen wehtun, merken sie erst dann, wenn sie nach beendeter Jagd zum ersten Mal wieder zur Ruhe kommen. Die motivationssteigernde und durch Lernprozesse auch selbstbelohnende Wirkung der genannten Botenstoffe, insbesondere des Dopamins und des Noradrenalins, ist in vielen Labor- und Felduntersuchen verschiedenster Tierarten bereits belegt. Kommt dazu noch die Schmerzdämpfung, dann haben wir den idealen Querfeldein-Langstreckenläufer. Das Verhalten der Beagles, die als Meute auf der Fährte sind, lässt wohl keinen Zweifel daran, dass hier Dopamin und die körpereigenen Opiate tatsächlich eine Rolle spielen. Wer diesem Schauspiel einmal zuschauen kann, sieht wirklich glückliche Hunde.

Verfressenheit
Das Leben in der Meute erfordert auch, dass man sich bezüglich des Fressverhaltens entsprechend angepasst zeigt. Man sollte möglichst wenig Futterneid zeigen und stattdessen so schnell und so erfolgreich wie nur möglich in sich hineinschaufeln. Wer auf einer Jagd ganz schnell sehr viele Kalorien verliert, tut gut daran, sich diese auch in kürzester Zeit wieder anzufressen. Und genau das ist die Basis für die sprichwörtliche Beagle-Verfressenheit, die dann oftmals zu übergewichtigen Hunden führt. Untersuchungen an Menschen und Labortieren zeigen deutlich, dass ein Hormon Namens Leptin für die Langzeitregulation des Appetits und des Nahrungsaufnahmeverhaltens zuständig ist. Normalerweise wird Leptin aus gefüllten Fettzellen freigesetzt und tritt dann sozusagen im Hirnstamm auf die Essbremse. Wird dieses Leptinsystem in seiner Empfindlichkeit verändert, erhöht sich die Anfälligkeit für Essstörungen und Fettleibigkeit. Auch wenn einschlägige Untersuchungen an Hunden bisher nicht durchgeführt wurden, lassen viele Eigenschaften gerade der Beagle-Verfressenheit an eine solche Veränderung des Leptinsystems denken. Was in der Meute adaptiv war, nämlich in kürzester Zeit nach der Jagd die verbrannte Energie wieder zurückzugewinnen, kann im Haustierstand des Familienhundes aber nur zu Gewichtsproblemen und daraus folgenden gesundheitlichen Störungen führen.

Gesundheitliche Probleme
Auch ein medizinisches Problem könnte zumindest teilweise durch die Meutejagd bzw. die dabei herrschenden Glücksempfindungen der Hunde erklärlich sein. Beagles neigen, wie andere Rassen mit schwerer Rute, zum sogenannten Hammelschwanz (Wasserrute). Es handelt sich dabei vermutlich um eine durch Durchblutungsstörungen an der Schwanzwurzel entstandene Gewebsentzündung, die dann eben zur schlaff gelähmten Rute führt. Diese Krankheitserscheinung zeigen viele Beagles besonders häufig, wenn sie längere Zeit auf der Jagd mit hoch erhobenem und wedelndem Schwanz einer Spur gefolgt sind.
Eine rassetypische Disposition liegt bei Beagles auch für die Schilddrüsenunterfunktion vor. Das Schilddrüsenhormon Thyroxin selbst hat zwar mit der Steuerung des Verhaltens eigentlich nichts zu tun, jedoch ist bei einem Mangel an Schilddrüsenhormon eine Veränderung im Stoffwechsel der Botenstoffe Serotonin und Dopamin zu verzeichnen, und diese beiden Botenstoffe wirken sich wiederum in vielfältiger Weise auf das Verhalten aus. Die rassetypische Disposition zur Schilddrüsenunterfunktion beim Beagle ist bekannt. Man sollte also bei Beagles, zumindest ab dem Erwachsenenstadium, sehr wachsam sein. Zeigen sich Verhaltensäusserungen wie etwa Launenhaftigkeit, Zurückgezogenheit, Futterneid oder auch Aggression gegen Menschen oder Artgenossen, so könnte eine Schilddrüsenunterfunktion die Ursache sein. Dann sollte in jedem Falle der Tierarzt konsultiert werden.

Anspruchsloser Familienhund?
Möglicherweise ist ja diese rassetypische Disposition zur Schilddrüsenunterfunktion auch eine der Ursachen dafür, dass in der Beissstatistik des amerikanischen Hundeforschers James Serpell der Beagle, der bei uns als gelassener und fröhlicher Familienhund gilt, an mehreren Stellen vordere Plätze belegt. In einer umfangreichen Befragung von tausenden von Hundebesitzern zeigte sich, dass der Beagle in den USA Platz 5 in der Statistik über Angriffe auf Fremde einnimmt und bei Angriffen auf den eigenen Besitzer sogar Platz 1 erreicht. Ob sich unter diesen Zahlen viele unentdeckte und nicht behandelte Schilddrüsenpatienten befinden oder ob die Ursache auch in den ganz anderen Praktiken der Hundehaltung in USA gegenüber dem deutschsprachigen Mitteleuropa liegt, kann an dieser Stelle nicht entschieden werden. In den USA werden Hunde oftmals sehr wenig beschäftigt, Freilauf ist nur selten möglich, und ein unterbeschäftigter und arbeitsloser Beagle muss schliesslich seinen Frust irgendwo auslassen.

Der Beagle als Laborhund
Weltweit sind Beagles die Laborhunde Nummer 1. Ihrer sprichwörtlichen Verfressenheit ermöglicht es beispielsweise, die Hunde auch ohne vorhergehende Fastenperioden jederzeit mit Futterbelohnung in Lernversuchen und anderen Verhaltenstests zu überprüfen; mit dazu beitragen dürfte auch ihr stets fröhliches und freundliches, selten nachtragendes Wesen. Man arbeitet einfach lieber mit Hunden, die trotz der anstehenden Versuche den Menschen immer noch begrüssen und sich ihm freudig erregt annähern. Ausserdem lassen sich Meutehunde in der Regel problemlos in Gruppen halten. Ohne nun über das Thema Tierversuche an und mit Hunden diskutieren zu wollen, ist es uns jedoch ein Bedürfnis, darauf hinzuweisen, dass heute viele Labors nach Abschluss der Versuchsreihen bereit sind, ihre Beagles an verantwortungsvolle Privathalter abzugeben. Vielfach sind diese Hunde noch recht jung und können dann noch 10 Jahre oder länger ein hundegerechtes Dasein in einer Familie führen. Informationen zu diesem Thema finden sich beispielsweise auf www.laborbeaglehilfe.de. Wie wir gesehen haben, muss bedacht werden, dass gerade Hunde aus Labors, unter Umständen durch die erfahrungsarme Aufzucht einen gewissen Risikofaktor zur Entstehung von Stereotypien und Bewegungsauffälligkeiten zeigen. Umso wichtiger ist es, nun alles zu tun, um diesen Hunden eine tiergerechte, möglichst beaglegerechte Auslastung zu verschaffen. Zielobjektsuche oder andere Formen der Gegenstandsdifferenzierung wären hier an erster Stelle zu nennen. Auch kompliziert gelegte Schleppfährten können dazu dienen, den Beagle mit seiner Nase und trotzdem noch mit Köpfchen zu beschäftigen.